Katzensprung gen Norden

Nicht nur die Transsib führt nach Sibirien. Wir kennen eine Alternative: ein Flug nach Hamburg und dann ist es nicht mehr weit. Ein Katzensprung, wie man so schön auf Deutsch sagt: es sind lediglich 32 Kilometer Richtung Norden.

Foto: Xenia Maximova / LiveBerlin

Weihnachtskranz

„Wie kommt man am besten nach Sibirien?“, frage ich.

„Ist es Ihr Ernst?!“, der Mitarbeiter der Tankstelle an der Einfahrt in das Städchen Elmshorn (Schleswig-Holstein) ist aufrichtig erstaunt. Wäre er ein Russe, käme nun prompt der Spruch „Was hast du denn getrunken?“.

Aber der Mitarbeiter ist nicht von hier. Sonst hätte er gewusst, dass die Abbiegung rechts nach der Tankstelle an den Birkenweg vorbei und an einem Tannenwäldchen entlang zu einem Straßenschild führt, auf dem klar steht: „Sibirien“. Es sind sogar zwei Schilder: eines für ein Stadtbezirk, ein anderes für die gleichnamige Straße. Nur ein halbes Kilometer und du bist in Sibirien.

Warum das Bezirk so heißt, weiß keiner so genau. Aber dass diese Ortschaft schon seit 300 Jahren so genannt wird, ist sicher. Das gleichnamige Dorf wurde im 19. Jahrhundert ein reicher Deutsche namens Tams gegründet, als er über diese Wälder von seiner Amerika-Reise zurückkehrte. Der passende Name blieb erhalten: dieser Ort ist leer, sumpfig und weit von anderen Orten entfernt. Und so ging er in die modernen topographischen Karten ein. Und später entstand hier die Forstwirtschaft „Sibirien“.

… Ich gehe hinein, denn alles ist offen. Ein Traktor, Brennholz, Sägemehl, ein Spaten. Auf dem Boden sind Tannenzweige verstreut.

Endlich kommt auch der erste Deutsch-Sibirier Herr Konetzny, der Eigentümer. Einmal fertigte er einen Weihnachtskranz für eine Bestellung aus St. Petersburg, und er ist sehr stolz darauf. Denn somit ist er der Erste, der das deutsche Sibirien seiner ursprünglichen Lage näher gebracht hat.

Elmshorner mögen Fremdnamen. So grenzt das hiesige Sibirien mit Paradies. Wie sonst soll ein Ort genannt werden, an dem wirklich alles wie im Garten Eden gedeiht?

Etwas südlicher steht ein Hotel mit einem für diesen Ort nicht minder logischen Namen „Südpol“. Und im sibirischen Wald liegt das Anker eines alten Walfangschiffs namens „Flora“.

Foto: Xenia Maximova / LiveBerlin

Druschba, Tundra, Abramovitsch

„Ewiges Eis, endloser Winter, Tundra, Tajga“, zählt seine Assoziationen zu Sibirien Brigitte Fronzek, die Elmholms Bürgermeisterin, zu deren Regierungsbezirk auch Sibirien gehört. „Aber es hat mit unserem Sibirien nichts zu tun“.

Nebenbei erinnert sich Brigitte Fronzek, dass ein Verwandter von ihr nach dem Krieg länger in einem echten sibirischen Lager gesessen hat.

„Trotzdem sprach er sein Leben lang gut über die Russen“, fügt sie hinzu. „Er ist sogar später als Tourist nach Russland gefahren. Und er kehrte begeistert zurück. Er brachte mir das russische Wort „Druschba“ bei“.

Ich frage sie, was sie von unseren Landsleuten hält.

„Die Russen?“, denkt Brigitte Fronzek nach. „Na ja, sie sind sehr reich wie Abramovitsch. Und sie trinken viel… Sehr viel!“ fügt sie fröhlich lächelnd nach einer Pause hinzu. „So schreibt man bei uns in den Zeitungen. Aber ob es stimmt? Man kann ja nicht allem glauben, was gedruckt wird“.


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In Russland ist die hiesige Machtvertreterin noch nicht gewesen. Es gibt viel Arbeit in der eigenen Stadt, in der 5 Prozent der Bevölkerung aus der GUS kommt. Übrigens gehört die russische Mafia auch dazu. Darüber hat sie ganz klare Vorstellungen.

So sind die Behörden richtig in Sorge wegen des im gesamten Kreis Pinnenberg bekannten Restaurants „Sibirien“, das auf eine hundertjährige Geschichte zurückblickt. Es wurde vor kurzem aus Versehen in einen Reiseführer über russische Orte in Deutschland aufgenommen. Solche Fehler könnten teuer zu stehen kommen. Es ist mit unseren Mafiosis, die fürsorglich und patriotisch ihre eigenen Landsleute erpressen, schlecht Kirschen zu essen.

In Wirklichkeit hat das Restaurant „Sibirien“ mit Russland nichts zu tun und ist für seine traditionelle deutsche Küche bekannt.

Foto: Xenia Maximova / LiveBerlin

Besonderheiten der sibirischen Küche

Die Eigentümerin des Restaurants Heike Thormählen hatte in ihrem Leben lediglich zwei Mal die Gelegenheit, Russisch zu essen. Zum ersten Mal war es auf einer Hochzeit, die unsere ausgewanderten Landsleute in ihrem Restaurant gefeiert haben. Alle Rezepte für das Festessen brachten sie mit. Die „sibirischen“ Köcher meisterten die Soljanka mit Bravur. Denn unter dreißig Mitarbeiter der Frau Thormählen sind, so Schicksal es wollte, Russen.

Zum zweiten Mal backten sie Piroggen und Blinis für eine „sibirische“ Hausparty, sie wollten so der Chefin eine Freude machen.

„Ich bin mit meiner Arbeit sehr zufrieden“, erzählt die Köchin Nadja, eine Russlanddeutsche aus Kasachstan. „Wir sind 1993 ausgewandert, als es zu Hause zu schlimm wurde. Und hier arbeite ich in meinem Beruf und verdiene genug, um zu kaufen, was ich will“.

Das deutsche „Sibirien“ hat zwei Hausgerichte, für die hierher Gäste aus dem gesamten Schleswig Holstein kommen. „Mehlbeutel“ sind Mehlknödeln, die man mit Zucker, zerlassener Butter und Stückchen aus Schweinefleisch einreicht. Außerdem gibt es „Schwarzauer“: eine fleischige schwarze Blutsuppe.

Und einmal im Jahr in der Karnevalwoche kommen zum „Sibirien“ die Menschen aus dem Umland, um die „Graue Erbsensuppe“ zu essen. An diesem Tag werden nicht unter 1000 Portionen zubereitet. „Erfunden“ wurde sie schon im Dreißigjährigen Krieg und ist seit der Zeit für die Menschen hier legendär. Erbsen waren Schweinefutter, aber in den schlimmen Hungerjahren retteten sie die Elmshorner vor dem Tod.

* * *

Aber eins lässt sich mit Sicherheit sagen: das Land ist einer Reise wert. Es ist unbeschreiblich schön hier. Die feuchte und „leckere“ Luft schmeckt nach Meer. Es riecht nach Tannen und herbstlichen Äpfeln. Der Weg schlängelt sich in die Unendlichkeit, von einem Städtchen zum anderen. Man nehme eine Kamera und ein Fahrrad und man hat ihn – den besten Urlaub auf der Welt. Eigentlich haben das auch schon viele kapiert, in der Hochsaison kommen hierher zahlreiche „Nachbarn“ zu Besuch, sowohl die Hauptstädter, die gerne gen Norden fahren, als such die Dänen, denn für sie ist es wirklich ein Katzensprung!

Xenia Maximova · Berlin
aus dem Russischen Elena Nowak ■


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Der Beitrag auf Russisch

Чтобы оказаться в Сибири, совсем не обязательно долго трястись в железнодорожном вагоне по Транссибу. Мы открыли альтернативный путь: на самолете до Гамбурга, а оттуда до Сибири уже рукой подать. Ein Katzensprung, как говорят немцы, что в буквальном переводе означает «кошачий прыжок», — всего 32 км на север.

Кошачий прыжок на север